Eine Insel im Meer by Annika Thor

Eine Insel im Meer by Annika Thor

Autor:Annika Thor
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


21

Sylvia grinst, als sie Steffis Haare sieht.

„Ist die ganze Mähne verbrannt?“

„Nein, die hat sie mit der Wollschere abgeschnitten“, sagt Barbro.

Steffi gibt keine Antwort. Zu Hause konnte sie sich gut mit Worten verteidigen. Wenn jemand etwas Gemeines zu ihr sagte, konnte sie zurückgeben. Aber auf Schwedisch kommen die Wörter so langsam und nie hat sie genügend Wörter. Stattdessen geht sie den beiden aus dem Weg.

Auf dem Heimweg vom Schulabschluss in der Kirche ist Steffi noch ganz erfüllt von all dem Schönen: den Kerzen, der Orgelmusik, den Chorälen.

„Es ist ein Ros‘ entsprungen ...“, summt sie vor sich hin und hört nicht auf das, was Nelli redet.

„Ich hab ein Weihnachtsgeschenk von Sonja gekriegt“, erzählt Nelli stolz. „Aber ich darf es erst Heiligabend öffnen. Und Tante Alma will heute Nachmittag ein Foto von uns machen. Das soll Mama zu Weihnachten bekommen.“

Steffi bleibt stehen.

„Wer hat das gesagt?“

„Mama hat mir geschrieben, dass sie eins haben möchte“, sagte Nelli. „Hat sie dir das nicht geschrieben?“

„Nein“, lügt Steffi.

„Aha“, sagt Nelli, „aber mir hat sie es jedenfalls geschrieben. Und ich darf einen Rahmen für das Foto kaufen, wenn wir nach Göteborg fahren und Weihnachtsgeschenke einkaufen. Dann gehen wir auch in eine Konditorei.“

„In Göteborg gibt es keine Konditoreien“, behauptet Steffi. „Keine richtigen wie in Wien.“

„Gibt es doch!“

Erst jetzt merkt Steffi, dass Nelli ihr auf Schwedisch antwortet, obwohl sie selbst deutsch spricht.

„Warum redest du mit mir schwedisch?“

„Warum sollte ich nicht?“

„Weil unsere Muttersprache Deutsch ist.“

„Das klingt so blöd“, sagt Nello. „Wenn uns nun mal jemand hört.“

„Glaubst du etwa, du bist Schwedin?“

Nelli gibt keine Antwort. Sie holt ein kleines Paket aus ihrer Manteltasche, hält es gegen das Ohr und schüttelt es.

„Mama und Papa wären sehr traurig, wenn sie dich hören könnten“, sagt Steffi. „Sehr traurig und böse.“ Nelli steckt das Paket wieder in die Tasche. Sie schiebt die Unterlippe vor und schweigt für den Rest des Weges. Tante Alma hat den Tisch mit Himbeersaft, Safranwecken und Pfefferkuchen gedeckt. Sie möchte ihre Zeugnisse sehen und lobt sie wegen ihrer guten Zensuren.

„Bald seid ihr die besten in euren Klassen“, sagt sie. „Wenn ihr nur erst ganz richtig Schwedisch gelernt habt.“

„Im nächsten Schuljahr bekommen wir wahrscheinlich amerikanische Zeugnisse“, sagt Steffi. „Wenn wir es schaffen, bis dahin Englisch zu lernen.“

Auf Tante Almas Stirn bildet sich eine Kummerfalte.

„Liebes Kind“, sagt sie, „ich glaube nicht, dass du in diesem Frühling mit einer Reise nach Amerika rechnen solltest.“

„Aber“, beginnt Steffi, „Papa hat geschrieben ...“

Elsa und John haben keine Lust mehr, still am Tisch zu sitzen. Sie jagen mit wildem Geheule in der Küche herum. Nelli rutscht von ihrem Stuhl und fängt John. Er jault vor Lachen, als sie ihn kitzelt.

„Dein Vater tut sicher sein Bestes“, sagt Tante Alma. „Aber jetzt ist Krieg und da ist Reisen schwer.“

Was meint Tante Alma? Sollen sie auf dieser Insel bleiben, bis der Krieg zu Ende ist? Wie lange kann das dauern?

„Ja, aber Amerika“, sagt Steffi lahm. „Amerika ist doch nicht mit im Krieg ...“

Tante Alma ist jedoch von den Kindern in Anspruch genommen und hört ihr nicht zu.

„Achte auf deine Kleider“, sagt sie. „Denk daran, dass ihr fotografiert werden sollt.



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